19.6.08

Neuer Trend: Dschihadisten gegen Terror

"Auf den al-Qaida-Webportalen diskutiert man schon erbittert darüber, warum wie im Irak verloren haben."




Neuer Trend: Dschihadisten gegen Terror
von Robert Misik

Wenn man in diesen Tagen die internationalen Zeitungen und Zeitschriften genau liest, dann sieht man, es gibt einen neuen Trend: Dschihadisten gegen den Terror. Immer mehr militante Islamisten wenden sich gegen Massenmorde und Massaker. Osama bin Laden und seinen al-Qaida-Leuten bläst der Wind steif ins Gesicht.

Das US-Magazin „The New Republic“ hat die „Dschihadistenrevolte gegen bin Laden“ sogar zu seiner Coverstory gemacht, der „New Yorker“ berichtet in einem ausladenden Report über die „Rebellion von Innen“. Für das Stück in der „New Republic“ zeichnet Peter Bergen mitverantwortlich, einer der besten Kenner der al-Qaida. Immerhin einer der wenigen westlichen Reporter, die bin Laden interviewt haben.

Er berichtet etwa von dem libyschen Dschihadistenführer Noman Benotman, der gerade ein Abkommen zwischen seiner Ex-Terrorrganisation und Staatschef Ghadaffi aushandelt. Wenn das gelungen ist, will sich die libysche islamische Kampfgruppe von al Qaida öffentlich lossagen. Benotman selbst hat in einem Brief an bin-Ladens Stellvertreter Ayman al-Zawahiri gefordert, al-Qaida solle alle Operationen im Westen und den islamischen Staaten einstellen. Benotman hat einst selbst an bin Ladens Seite in Afghanistan gekämpft, noch im Jahr 2000 war er bei einem Treffen aller Top-Dschihadisten in einem der al-Qaida-Terrorcamps mit von der Partie.

Ein anderes Beispiel: Der saudische islamistische Militane Sheikh Salman Al Oudah, der selbst viele Jahre im Gefängnis verbracht hat und bisher als so etwas wie ein Mentor von al-Qaida galt, lies einen Aufruf im Fernsehen verbeiten: „Mein Bruder Osama, wie viel Blut willst Du noch vergießen? Wieviele unschuldige Menschen, Kinder, Alte, Frauen hast du schon umgebracht – im Namen von Al Qaida? Wie wirst Du dem Allmächtigen begegnen mit dieser Bürde von hunderttausenden Toten.“

Und in Ägypten schrieb der Führer islamischen Jihad, Sayyid Imam Al Sharif, bekannt als Dr. Fadl, eine regelrechte Anti-Jihad-Theorie – aus dem Gefängnis heraus. In seiner Philipikka wird er richtig persönlich: „Zawahiri und Emir bin Laden sind extrem unmoralisch“.Wohlgemerkt: Diese Kritker sind selbst islamistische Militante, die unter den Radikalen Street Credibility, Glaubwürdigkeit, genießen. Die kann man nicht als gekaufte Büttel des Westens denunzieren.

Schön zu sehen: Die Terrorexzesse der letzten Jahre haben al-Qaida extrem unpopulär gemacht, auch unter Muslimen. Die Anschläge in der U-Bahn in London wurden keineswegs mit Jubel aufgenommen. Und im Irak veranstaltete al-Qadia Gewaltexzesse, die rund 10.000 Todesopfer forderten – vornehmlich Muslime. Das kostete der Terrorgruppe jede Sympathie. Auf den al-Qaida-Webportalen diskutiert man schon erbittert darüber, „warum wie im Irak verloren haben“. Vieles deutet darauf hin, dass nach Jahren der Zunahme des Extremismus die Anzahl der Radikalen zurückgeht, auch unter jungen Zuwanderern in London, Hamburg, Berlin. Und dass die Extremisten zunehmend isoliert sind.

Da soll noch jemand sagen, hier gäbe es immer nur schlechte Nachrichten.

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